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Channel: Wiedekamm Elmshorn
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Zur Lage VIIII

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Zum Jahresende ist mal wieder ein ausführlicher Lagebericht fällig. Mit jedem Tag Abstand zum “Vorfall” darauf wird die Sicht darauf klarer. Vermutlich werde ich dazu bei Gelegenheit noch mal einen Beitrag zum “Vorfall” verfassen – die Rekonstruktion lässt mir noch keine Ruhe.

Das Wort “Vorfall” haben mir die englischen Crews beigebracht. Ich solle nicht so dramatisch von einem “Unfall” sprechen, sondern eher von einem “Vorfall” – denn außer ein paar technischen Defekten sei doch eigentlich nichts passiert. Ferner liege der Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage in einer solchen Situation nur Sekunden auseinander.

Aber OK, listen wir mal die paar technischen Defekte auf – nicht alle sind auf den “Vorfall” zurück zu führen:

1) Über Deck

1.1) Mast: Dreifarben-Laterne und Anklerlicht defekt oder verloren. Verklicker verloren

1.2) Großsegel: Alle Segellatten gebrochen. Bei fast allen Taschen für die Segellatten gibt es Risse oder Löcher – dort haben sich die gebrochenen Segellatten ihren Weg nach draußen gesucht.

1.3) Cockpit: Instrumententräger und Gehäuse kaputt. Montageplatte für Gehäuse an Schweißnähten gebrochen. Tochterinstrument elektrische Selbststeuerung kaputt und Datenleitung zerrissen. Kompassglas stark zerkratzt. UKW Anschluss für Außengerät abgerissen. Steuerbord Winsch Leinenführung so stark verbogen, das sich Winsch kaum drehen lässt.

1.4) Leckage an Tankfüllstutzen Backbord. Dadurch konnte während der nassen Überfahrt Seewasser in die Pantryschränke laufen. (Gleiches Problem wie bereits an Steuerbord). Dadurch wurden tw. auch die Schrankverschlüsse unbrauchbar.

2) Unter Deck

2.1) Getriebe durch starke Überhitzung zerstört.

2.2) Aquadrive Drucklager zerbrochen.

2.3) Hauptmaschine springt im Moment nur nach 4-8 Startversuchen an.

2.4) Generator hat immer wieder Luft im Diesel und stirbt ab.

2.5) Schwenkkiel hat Spiel und schaukelt bei Belastung hin und her. Durch Bewegung entsteht kleine Leckage unter der Wasserlinie mit 1-2 Litern Seewasser pro Tag.

2.6) Schrank- und Schubladenverschlüsse schließen nicht richtig und öffnen sich unter Belastung.

2.7) Achterkajüte Backbord: Deckslampen und Leselicht haben keinen Strom mehr.
Soweit die “ToDo” Liste. Mit Heidi habe ich gestern das Großsegel abgetakelt und die kaputten Segellatten nebst Resten aus dem Segel gepult. Ging einfacher als gedacht! Das Segel wird Morgen abgeholt und genäht – die Beschaffung der Segellatten wird wohl noch schwierig.

Generell ist die Beschaffung der Ersatzteile die große Herausvorderung. Aber der (junge) kanadische Werftmanager Sean gibt uns im Moment das Gefühl, in guten Händen zu sein.

Dennoch bin ich in Kontakt mit “unserer” Werft HUTTING in Makkum. Es läuft darauf hinaus, das ein Experte aus Makkum hier eingefolgen wird um den Schwenkkiel zu reparieren. Vielleicht auch noch andere Baustellen.

Alles in allem sind alle Punkte hier lösbar und werden mit entsprechenden Einsatz von Zeit und Geld behoben werden. Das ist doch schon mal was positives, gell?

Mental geht es uns (mir!) auch schon besser. Neben einer zu Recht mahnenden eMail “ich möge Heidi mit meiner “Post-ARC-Depression”(so die Formulierung) nicht anstecken” gab es auch eine neue, aber durchaus passende Perspektive auf unsere Atlantikquerung:

Ein ehemaliger Kollege meinte, es gebe nicht viele Menschen die sich auf so eine Reise ohne Ausstiegsmöglichkeit begeben. Ja, stimmt: Während der Überfahrt gab es keinen Exit. Nach einer Woche hätte man vielleicht noch abbrechen können und Richtung Kap Verde gehen können – danach aber gab es nur noch Westwärts bis wir hier ankommen. Im absoluten Extremfall hätte man bestimmt Hilfe von anderen Booten erhalten – aber Reisen mussten wir schon alleine!

Ein ARC Skipper meinte: Wenn wir es einfach haben wollten, dann säßen wir jetzt mit Wollsocken und Bier vor dem Fernseher…

Es wird sicher noch eine Zeit dauern, bis ich das Erreichte fassen und vor allem trotz dem ganzen Mist würdigen kann. Das häufige “WELL DONE” der englischen Crews deute ich so: Die haben zwar auch ihre individuellen Pleiten, Pech und Pannen gehabt, sind aber froh das ihnen unsere harte deutsche Kombination erspart geblieben ist ;-)

Jetzt stehen also wieder die Reparaturen im Vordergrund. Aber anders als in Spanien dominieren sie nicht mehr unseren Tag! Wir treffen uns täglich mit anderen Crews auf ein Bier oder zum Essen und tauschen Erfahrungen aus. So lernen wir, das für niemanden (wirklich niemanden!) der Törn einfach war und alle irgendwie ihr Päckchen zu tragen hatten.

Von Wegen “Barfußroute” – so wird die Route seit vielen Jahren wegen ihrer angeblichen Einfachheit genannt. In diesem Jahr gab es wohl einfach nur zu oft zu viel Wind und Welle – ob als Folge der Klimaänderung oder als statistischer Ausreißer bleibt offen.

Genug davon – es gibt hier durchaus auch ein soziales Leben!

Am ersten Weihnachtstag waren wir im Hotel “The Landings” mit fünf anderen Paaren zum Weihnachtsessen verabredet. Weihnachten erstmals ohne Familie. Vier Paare aus England, ein Kanadisches Paar und wir aus Deutschland. Schön international!

Die Kanadier haben bei SKY-TV im Travel-Channel eine eigene Sendung. Sie reisen 6 Monate im Jahr mit dem Boot und filmen alles, was sich lohnt und schneiden dann in den anderen 6 Monaten zu Hause ihre TV-Beiträge. Auch kein schlechter Job…

Anreise zum Essen original karibisch:

Mit dem Dingi in der Marina zu einem anderen Boot und dort ein Paar aufgepickt. Dann weiter durch den kleinen Kanal, der die Marina mit dem Meer verbindet hinaus in die herrliche Bucht Rodney Bay – die Maunie liegt ganz in der Ecke vor Anker und ist heutiger Treffpunkt. Ganz in Piratenmanier die MAUNIE geentert und einen Aperitif ergaunert. Dann mit zwei Booten zum Hotel, dort die anderen am Pool getroffen, erneut ein Drink und ein sehr gutes Drei-Gänge Menü genossen.

Für Morgen sind wir auf der MAUNIE zum Segeln verabredet. Wir wollen auf der MAUNIE 8 Meilen nach Süden zum Mittagessen und am Nachmittag wieder zurück. Sylvester wird dann wohl auch noch zusammen verbracht – aber dann…?

Wenn wir nun auf 2013 blicken sind wir in der sensationellen Lage frei entscheiden zu können!

Für Mitte Februar sind wir hier mit unseren Freunden aus Mannheim verabredet. Bis dahin wird der STORMVOGEL bestimmt wieder fliegen und wir werden uns südwärts in die Grenadinen aufmachen. Sehr kurze Tagestörns mit besten Freunden – da kann man sich doch glatt mal drauf freuen…

…aber auch auf die Ankunft der BELLA. Die haben es mittlerweile bis Kap Verde geschafft und wir sind sicher, das wir uns hier in der Karibik noch mal treffen, bevor sich unsere Wege erstmal endgültig trennen.

Eine Entscheidung für unsere weiteren Reisepläne gibt es noch nicht. Im Grundsatz gibt es für uns drei Alternativen:
a) Weiter wie geplant: Das hieße ab Mitte März im strammen Ritt nach Pannama und weiter Westwärts. Längste Etappe 3.500 Seemeilen im Pazifik. 2.800 können wir ja schon ;-) In Australien könnten wir bei Karen und John von der SENTA unterkommen…die haben uns ihren ARC-Gewinn-Gutschein in einem Nobel-Restaurant geschenkt. Ja, große Herzen muss man hier haben!

b) Route verkürzen: Die Saison hier in der Karibik verbringen, aber Richtung Norden halten und im Frühjahr 2013 über Bermuda nach Europa zurück. Eine noch “brutalere” Variante der Verkürzung wäre die Rückführung des STROMVOGELs per Seeschiff – die liefern nach Brunsbüttel ;-)

c) Route verändern: Ebenfalls Saison in der Karibik, dann aber ausführlich die US Ostküste auf dem Intercostal Waterway bereisen – das muss so ähnlich sein wie das Binnenfahrwasser in den schwedischen Ostküsten Schären. Wer den Film “Message in a Bottle” mit Kevin Costner kennt (…und liebt) ahnt, wieso man da mal längs segeln sollte…

Und mit diesen Gedanken geht 2012 still und friedlich für uns zu Ende.

Als ehemaliger Projektmanager möchte ich noch festhalten das wir das, was wir uns heute vor einem Jahr vorgenommen haben auch geschafft haben:

Wir sind auf St. Lucia in der Karibik mit dem eigenen Boot, trinken Rumpunsch oder PITON (=lokales Bier) und düsen mit dem Dingi durch die Gegend!

Kurzes inne halten und jetzt, da ich diese Zeilen schreibe die Überlegung, wieso es mir immer noch so wichtig ist, das zu schaffen, was ich mir mal vorgenommen habe? Ich/wir könnten ja auch ganz, ganz anders…

Ich finde keine Erklärung und denke schlicht, der Eintrag ist eh´ schon viel zu lang und beende ihn jetzt einfach…

Peter.


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